Schröpfen ist zurück. Was früher als veraltete Heilmethode galt, erlebt unter dem arabischen Namen “Hijama” ein erstaunliches Revival in Gesundheitspraxen und alternativen Therapiezentren. Aber was steckt hinter dieser Methode, und warum wächst ihre Beliebtheit?
Was genau ist Hijama?
Hijama (arabisch für “Saugen”) ist eine Form des Schröpfens, bei der spezielle Gläser oder Cups auf die Haut gesetzt werden. Durch ein Vakuum wird die Haut angehoben und die Durchblutung gefördert. Es gibt zwei Hauptformen:
Trockenes Schröpfen: Hierbei werden nur die Gläser aufgesetzt, ohne die Haut zu verletzen.
Nasses Schröpfen: Bei dieser intensiveren Variante werden kleine, oberflächliche Schnitte in die Haut gemacht, bevor die Gläser aufgesetzt werden. Das Vakuum zieht dann eine kleine Menge Blut heraus.
Die Methode soll Giftstoffe aus dem Körper ziehen, die Durchblutung fördern und das Immunsystem stärken.
Eine Therapie mit historischen Wurzeln
Hijama ist keine moderne Erfindung. Die Praxis hat eine jahrtausendealte Geschichte und war in verschiedenen Kulturen verbreitet:
- Im antiken Ägypten wurden bereits Schröpftechniken angewandt
- Hippokrates beschrieb im alten Griechenland das Schröpfen als Heilmethode
- In der traditionellen chinesischen Medizin ist Schröpfen seit über 3000 Jahren bekannt
- Der Prophet Mohammed empfahl seinen Anhängern das Schröpfen als wirksames Heilmittel
In der islamischen Heilkunst hat Hijama einen besonderen Stellenwert. In zahlreichen Überlieferungen wird berichtet, dass Mohammed selbst diese Therapie in Anspruch nahm und sie gegen verschiedene Beschwerden empfahl.
Wie wirkt Hijama aus medizinischer Sicht?
Die moderne Forschung beginnt erst, die Wirkungsmechanismen des Schröpfens systematisch zu untersuchen. Bisherige Erkenntnisse deuten auf folgende Effekte hin:
- Verbesserte lokale Durchblutung: Das Schröpfen erzeugt eine kontrollierte lokale Entzündungsreaktion, die die Durchblutung fördert.
- Schmerzlinderung: Studien zeigen, dass Schröpfen bei bestimmten Schmerztypen, besonders bei Muskelverspannungen, wirksam sein kann.
- Entzündungshemmung: Die lokale Blutentnahme kann entzündungsfördernde Substanzen reduzieren.
- Entspannung: Der Prozess kann zur Freisetzung von Endorphinen führen, die Schmerzen lindern und das Wohlbefinden steigern.
Eine 2016 im Journal of Traditional and Complementary Medicine veröffentlichte Übersichtsarbeit fand Hinweise darauf, dass Schröpfen bei der Behandlung von Herpes Zoster, Akne und Gesichtslähmung helfen kann.
Bei welchen Beschwerden wird Hijama eingesetzt?
In der Praxis wird Hijama bei einer Vielzahl von Beschwerden angewendet:
- Chronische Rückenschmerzen und Nackenverspannungen
- Migräne und Kopfschmerzen
- Rheuma und Arthritis
- Bluthochdruck
- Hauterkrankungen wie Akne oder Ekzeme
- Erschöpfungszustände und allgemeine Energielosigkeit
Eine 2012 im PLOS ONE-Journal veröffentlichte Studie fand, dass Schröpfen bei chronischen Nackenschmerzen wirksamer sein kann als keine Behandlung oder nur Wärmebehandlung.
Wie läuft eine Hijama-Behandlung ab?
Eine typische Hijama-Sitzung folgt einem standardisierten Ablauf:
- Der Therapeut führt zunächst ein Gespräch über Beschwerden und Gesundheitszustand
- Die zu behandelnden Körperstellen werden gereinigt
- Die Schröpfgläser werden platziert und durch Absaugen der Luft entsteht ein Unterdruck
- Die Gläser bleiben etwa 5-15 Minuten auf der Haut
- Bei der nassen Variante werden nach dem Entfernen der Gläser kleine Schnitte gemacht
- Die Gläser werden erneut aufgesetzt, um Blut zu sammeln
- Nach der Behandlung werden die Stellen gereinigt und ggf. verbunden
Die gesamte Behandlung dauert etwa 30-60 Minuten. Nach der Therapie wird empfohlen, viel zu trinken und sich zu schonen.
Was die Wissenschaft dazu sagt
Die Forschungslage zu Hijama ist gemischt. Während einige Studien positive Effekte bei bestimmten Beschwerden zeigen, ist die Evidenz insgesamt noch begrenzt:
Pro:
- Eine Metaanalyse im Journal of Traditional Chinese Medicine (2015) fand, dass Schröpfen bei Herpes Zoster die Schmerzen reduzieren und die Heilung beschleunigen kann
- Mehrere kleinere Studien zeigen positive Effekte bei Rückenschmerzen
Contra:
- Viele Studien haben methodische Schwächen
- Der Placebo-Effekt spielt möglicherweise eine große Rolle
- Langzeitwirkungen sind kaum erforscht
Dr. Leonhard Schmidt, Leiter der Abteilung für Integrative Medizin an der Universität Freiburg, erklärt: “Wir sehen in der klinischen Praxis durchaus positive Effekte bei bestimmten Patientengruppen. Eine differenzierte Betrachtung ist jedoch wichtig – Hijama ist kein Allheilmittel, kann aber ein wertvoller Teil eines ganzheitlichen Behandlungskonzepts sein.”
Sicherheitsaspekte und Vorsichtsmaßnahmen
Wie bei jeder Behandlung gibt es auch bei Hijama Risiken und Gegenanzeigen:
Risiken:
- Infektionen bei mangelnder Hygiene
- Narbenbildung
- Blutergüsse und vorübergehende Hautverfärbungen
Nicht geeignet bei:
- Blutgerinnungsstörungen
- Einnahme von Blutverdünnern
- Schweren Herzerkrankungen
- Anämie
- Schwangerschaft
- Akuten Infektionen oder Fieber
Die Deutsche Gesellschaft für Naturheilkunde empfiehlt, Hijama nur von geschulten Therapeuten durchführen zu lassen und vor der Behandlung einen Arzt zu konsultieren.
Der kulturelle Kontext: Mehr als nur Medizin
Interessant ist, dass Hijama mehr als nur eine medizinische Behandlung darstellt. In vielen Kulturen, besonders in der islamischen Welt, ist sie tief in traditionellen Gesundheitskonzepten verankert.
In der islamischen Tradition wird Hijama an bestimmten Tagen des Mondkalenders als besonders wirksam angesehen. Moderne Hijama-Praxen in Europa kombinieren oft diese kulturellen Aspekte mit zeitgemäßen Hygienestandards und medizinischem Wissen.
Dr. Maria Kuhn, Ethnologin an der Universität Hamburg, erklärt: “Hijama zeigt exemplarisch, wie traditionelle Heilmethoden in modernen Gesellschaften neue Bedeutung erlangen können. Das wachsende Interesse spiegelt auch die Suche nach ganzheitlichen Ansätzen in der Gesundheitsversorgung wider.”